Der Orden 2000/2001 der Dammer Carnevalsgesellschaft von 1614 zeigte ein altes Motiv der Dammer Fastnacht, Symbolgestalten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die schon seit Beginn des Nachkriegscarnevals in der Bütt bei den Galasitzungen auftauchten: Muck und Trina.
Mit einigen Jahren Unterbrechungen übernahm Obernarr Willy Enneking vierzig Jahre die Rolle der Trina. Er/sie „verbrauchte” dabei so manche „Mücke” (Mans Büld, Bernhard Meyerrose, Benno Leiber, Heinrich Meyer-Nordhofe). Die letzten beiden Jahrzehnte seiner „Trina”-Darstellung füllte sein Partner Hans „BAM” Mähler mit eigenem Selbstverständnis den „Muck” aus. Ab 1996 wechselten die Rollen zu einem Gegensatzpaar, das sich sehr gut ergänzte: Das Duo Dr. Heiner Enneking und Bernhard Wehming setzte neue Akzente. Ab 2010 gelangte schließlich Felix Willenbrink in den Part der „Trina”.
Die eigentliche Geschichte von Muck & Trina will zunächst so gar nicht zum Carneval passen. Sie ist einem Lied zu entnehmen, das vermutlich erst in den 1930-er Jahren entstand. Allerdings kommt es als Moritat eher im Stil des beginnenden 19. Jahrhunderts daher. Das Geschehen spielt laut Moritat im Jahr 1770 in Haverbeck, wo sich ein gewisser Muck aus Hinterpommern als Soldat befunden und ein Stelldichein mit einer Frau namens Trina gehabt haben soll. Da es allerdings Winter und bitterkalt war, fror Muck während des Wartens auf Trina zu einem Eisklumpen. Die zu spät kommende Angebetete sah dies dann mit solchem Entsetzen, dass sie sich vor Kummer umbrachte. Als man dann beide fand, brachte man sie ins nächste Haus, wo allerdings der eingefrorene Muck auftaute und ihn seinerseits das helle Entsetzen packte, so dass auch er sich umbrachte und die Geschichte damit ihr trauriges Ende nimmt.
Grundsätzlich ist eine solche Moritat sicherlich eine Geschichte, wie sie durchaus vorkommen kann: Selbstmord aus Liebeskummer. Was diese ausdrücklich als „Doppelmoritat“ gekennzeichnete Handlung für die Narren so interessant macht, ist die Häufung von Unwahrscheinlichkeiten: Trina bestellt ihren Muck ausgerechnet an einen „Spülstein“ im kältesten Winter, lässt ihn dort stundenlang warten und wundert sich dann, dass er danach nur noch „ein Klumpen Eis in Uniform“ ist.
Wenn sie sich hernach mit einem Paar wollenen Socken umbringt, wie es im Liede heißt, fragt sich der Beobachter, wie denn das wohl abgelaufen sei. Auch das Wiederauftauen des Eisklumpens Muck nähert sich nicht eben der Wahrscheinlichkeit. Zum Schlusspunkt zieht dieser dann den Säbel und haut sich selbst den Kopf ab – ein Kunststück sondergleichen!
Immerhin lässt uns der Verfasser mit diesen Unwahrscheinlichkeiten nicht allein, sondern betont in der letzten Strophe: „Wer da will, der kann es glauben.“ Damit aber haben wir den endgültigen Hinweis, dass es sich eher um ein extremes Beispiel an Unterhaltung handelt, worauf es die Moritatensänger mit ihren eigenartigen Geschichten in Wort und Bild früher einzig und allein abgesehen hatten. So erweisen sich diese beiden Gestalten allerdings auch als urtümliche Unterhalter, sprich: Büttenredner.
Die unübersehbare Ironie, die allerdings im gesamten Text des Liedes steckt, bleibt ja ohnehin der Fastnacht und dem närrischen Treiben engstens verbunden. Wenn dann auch noch hinzukommt, dass der „Hinterpommer“ Muck Dammer Platt spricht – Trina als Haverbeckerin ja sowieso -, dann erhöht das den Reiz noch zusätzlich.
So gesehen ist diese schaurige Geschichte auch schaurig-schön, also unterhaltend und belustigend zugleich.
Man darf sie nur nicht so ernst nehmen.
Wer ganz weit zurückschaut, der wird bei den alten Germanen fündig. Denn die glaubten, so einige Mittelchen zu haben, um die bösen Geister des Winters zu vertreiben. Im Winter aber war das Leben seinerzeit verdammt hart. Darum taten sie alles, um ihm ein Ende zu bereiten.
Zum Beispiel machten sie viel Krach, damit das Böse und Unwirtliche genervt von dannen zöge. Daran erinnert heute noch unser Mann mit seiner Pingel. Aber auch gegen die Dunkelheit wussten unsere Vorfahren ein Mittel, nämlich mit einer künstlichen Sonne dem undurchsichtigen Gemunkel den Garaus zu machen. Also gab’s dafür den Mann mit der Lüchte, ganz urtümlich plattdeutsch.
Da nun die Narren heutzutage mit ihrem Fest die Heiterkeit, das Leichtlebige und den Lebensmut vertreten, ist es kein Wunder, dass der Mann mit der Pingel und der mit der Lüchte ihren Veranstaltungen stets vorausziehen, insbesondere beim Fastnachtsumzug. Der dumpfe und trübe Missmut wird also von den beiden regelrecht verscheucht, damit sich hinter ihnen das pralle Leben ausbreite.
Die Dammer hatten bis zum Jahr 1935 noch nicht diese beiden Ankündiger und Symbolfiguren zu Beginn des Fastnachtsumzuges. Vielmehr war es ein Herold hoch zu Ross, der freilich durchaus die Trompete blies und in dieser Beziehung dem Pingel-Mann das Wasser oder den Ton reichen konnte. Seine hehre Erscheinung mag auch durchaus beeindruckend gewesen sein – ähnlich dem Licht in der Dunkelheit.
Auf jeden Fall setzte der damalige Elferrat erstmals Pingel-Hermann und Lüchten-Job an den Beginn des Umzuges, wie sie aber auch sonst jede närrische Veranstaltung in der Öffentlichkeit anzukündigen hatten. Das wiederum erinnerte viel an den früher üblichen Auskündiger, der an geeigneten Stellen in der Öffentlichkeit seine amtlichen Bekanntmachungen vorzutragen hatte.
Hermann Wienhold und Josef Haverkamp blieben in dieser Position bis zum Jubiläumsjahr 1964, um dann von Pingel-Fritz (Finkemeyer) und Lüchten-Theo (Goda) abgelöst zu werden. Theo Goda starb 1986, so dass ihn Walter Westerhoff, also nun Lüchten-Walter bis heute ablöste. Fritz Finkemeyer, der 2007 verstarb, hingegen übte sein Amt offiziell 37 Jahre aus. Wenn er verhindert war, ersetzte ihn schon einige Jahre zuvor Peter Ripke, der ab 2000 zunächst den dritten Mann für alle Fälle in diesem Duo stellte und schon bald darauf ganz eine Funktion übernahm, die nun mit seinem Namen, mit Pingel-Peter, verbunden ist. Damit gilt er als zweite der närrischen Leitfiguren.
Denn außer der Pingel und der Lüchte haben beide zu den Sitzungen und den Umzügen auch noch die gewichtige Fahne der Dammer Carnevalsgesellschaft von 1614 vorweg zu tragen. In stürmischen Zeiten und bei hoch schlagenden närrischen Wogen ist das ein wahrer Kraftakt! Dieser Kraftanstrengung sah sich nach 21 Jahren zuverlässiger Tätigkeit Walter Westerhoff nicht mehr gewachsen. Damit machte er den Platz frei für einen sturmerprobten und begeisterten Nachfolger, für Franz Goda. Er führt ab der 395. Session, genau genommen seit dem 11.11.2008, als Lüchten-Franz eine begonnene Familientradition weiter, denn sein Onkel Theo Goda war mit der gleichen Aufgabe bereits einige Jahrzehnte zuvor betraut (siehe oben).
Die Generalversammlung am Dritten Weihnachtstag 2011 beschloss zudem, Matthias Lange als dritten Mann in das Team zu holen, da einer von beiden ja durchaus einmal verhindert sein kann. Schon bald darauf trat dieser Fall ein, denn Franz Goda bestimmten die Kürväter 2012 zum Prinzen Carneval. Mit solch einem Team dürfte es keine Schwierigkeit sein, das zu erreichen, was mit diesen beiden Symbolgestalten deutlich werden soll: Dem Frohsinn freie Bahn zu schaffen, das Alltagsgrau zu verscheuchen und auf alle Veranstaltungen der Dammer Carnevalsgesellschaft von 1614 so nachdrücklich hinzuweisen, dass man sich dem heiteren Sog des Narrentums nicht entziehen kann.
Heute steht stillvergnügt der kleinste von ihnen – immerhin noch gut zweieinhalb Meter hoch – im Eingang der Ausstellungsräume des Dammer Stadtmuseums, aber in den 1950er Jahren gab es deren drei, die zwar ihren Trägern trotz der Last auf den Schultern einen Riesenspaß bereiteten, bei manchem Kind aber Schrecken erzeugten: die drei Schwellköpfe der Gebrüder Leiber, die fast zehn Jahre hintereinander in wechselnder Bekleidung einen Höhepunkt der Dammer Carnevalsumzüge bildeten.
Wie waren überhaupt August, Franz und Conrad Leiber 1952 erstmals darauf gekommen, solche Pappmaschee-Riesen nach Damme zu holen? Insbesondere die beiden Brüder Conny und Franz unterhielten diverse geschäftliche Beziehungen ins Rheinland und nahmen ihren Bruder August mit ins Boot, um je einen dieser Köpfe zu finanzieren bzw. nach Damme zu bringen. Schließlich verfügten alle drei über geeignete Angestellte, die solch schwere Last durch die Umzüge trugen.
Auch bei dieser närrischen Gepflogenheit müssen wir einmal wieder feststellen, dass sie aus dem Umfeld des rheinischen Carnevals stammt. Schon um 1870 war es ja so gelaufen, dass in Damme die rheinischen Formen wie Themenumzüge, Kostümbälle und ein Prinz in den hiesigen Carneval übernommen wurden. Im Falle der Schwellköpfe kann man sie sogar relativ genau nach Mainz lokalisieren, wo sie erstmals in der dortigen Fastnacht auftauchten und ursprünglich sogar in der sog. „Franzosenzeit“ ein Mittel waren, um die missliebige Obrigkeit zu verspotten.
Das Wesen des Schwellkopfes ist es, dass er überlebensgroß geformt und über dem Kopf getragen wird. Das Guckloch für den Träger befindet sich im Hals oder in der Brust dieser Gestalt (s. Foto), deren Kopf aus Pappmaschee besteht, während der Corpus auf einem Tragegerüst mit Stoff verkleidet ist.
Dass die gestalteten Köpfe eher fratzenhafte Gesichter zeigten, erinnert einerseits sehr stark an ihren ursprünglich karikierenden Charakter, trug aber auch dazu bei, dass sich Kinder vor ihnen fürchteten, namentlich wenn sie sich weit nach vorn in die Zuschauerreihen neigten, wie es die drei Dammer Figuren seinerzeit gern taten. Da schien doch zumindestens diejenige mit dem weit aufgerissenen Mund die Kinder verschlingen zu wollen…
Immerhin waren die Figuren sehr schwer zu tragen – auch wenn die Länge des Umzuges in den 1950er Jahren bei weitem nicht der heutigen entsprach. Das mag auch der Grund gewesen sein, dass die drei Dammer Schwellköpfe nach 1961 nicht mehr im Umzug auftauchten und auf dem Boden des früheren Hauses Wagelaar eingelagert wurden, wo Conny Leiber wohnte und sich zu dieser Zeit auch eine Außenstelle seiner Firma Bahlmann & Leiber befand.
Während die anderen beiden zerfielen, erlebte einer der Köpfe 1972 als „Uncle Sam“ mit Stars & Stripes eine Art Wiederauferstehung im Carnevalsumzug. Er ist auch derjenige, den der unermüdliche Sammler Franz Dorenkamp retten konnte und den er 1993 dem Stadtmuseum übergab, das ihn restaurierte und neu einkleidete. Hier begrüßt der Schwellkopf alle Besucher, weist sie auf die Carnevals-Abteilung hin und bildet ein beliebtes Foto-Motiv.
Wolfgang Friemerding
Der Einzelbeitrag beträgt derzeit 10,00 Euro, der Familienbeitrag 20,00 Euro. Maßgeblich für zukünftige Beitragseinzüge ist die Beitragsveröffentlichung auf der Seite www.carneval-in-damme.de. Der Einzug der Mitgliedsbeiträge erfolgt erstmalig nach Eintritt in die Dammer Carnevalsgesellschaft von 1614 e.V. und in Folgejahren regelmäßig im ersten Quartal eines Kalenderjahres.
JETZT ZUM NEWSLETTER ANMELDEN UND ALLE NEUIGKEITEN ERFAHREN
Copyright © 2024. All rights reserved.
JETZT ZUM NEWSLETTER ANMELDEN UND ALLE NEUIGKEITEN ERFAHREN
Copyright © 2024. All rights reserved.